Johanne Mohs

Zurück in die Zukunft

Bogomir Eckers Tropfsteinmaschine
als Gedankenexperiment mit Stein

Zeitreisen gehören zu den klassischen Formen des Gedankenexperiments. Sie müssen, sie können nicht anders als in Gedanken angetreten werden, weil es Zeitmaschinen nur auf dem Papier gibt. Herbert George Wells hat 1895 in seinem Roman The Time Machine den Prototyp erfunden. Er ist nun seit gut hundert Jahren im Einsatz und wird unermüdlich weiterentwickelt. Eine von Wells‘ originellsten Ideen war es, die Zeit räumlich zu denken, als vierte Dimension avant la lettre, und die Zeitreise als eine Bewegung durch den Raum anzulegen. Anders als im dreidimensionalen Raum, kann man sich durch die vierte Dimension aber nur vor und zurück bewegen, sodass die Zeitreise auf zwei Richtungen beschränkt ist: Sie kann in die Vergangenheit und in die Zukunft führen.1

Ziemlich genau hundert Jahre nach Wells, 1996, hat Bogomir Ecker der Hamburger Kunsthalle seine Variante einer Zeitmaschine eingepflanzt. Sie trägt den Namen Tropfsteinmaschine und ruft mit den beiden Begriffen, die im Titel zusammentreffen, zwei unterschiedliche Eigenzeiten auf. Einerseits die des Tropfsteins, der sehr langsam wächst. Die Tropfen brauchen unvorstellbar viele Jahre, bis sich das Hier und Jetzt ihres Aufpralls in Stein materialisiert und ihre flüchtige Existenz zu einem Index vergangener Zeit wird. Und andererseits die Zeit der Maschine, die für Beschleunigung steht und insofern in die Zukunft ragt, als dass Maschinen immer auf ein Ziel gerichtet sind, auf etwas das es noch zu erstellen gilt. Sie bringen die Wirtschaft zum Wachsen, sind immer schon auf Vorsprung bedacht und darauf ausgelegt, Zeit zu gewinnen.

Mit der Dehnung der Zeit des Tropfsteins und der Raffung der Zeit der Maschine greifen im Titel von Eckers Installation zwei unterschiedliche Ideen ineinander, die in zwei unterschiedliche Richtungen führen können: einmal in die Vergangenheit und einmal in die Zukunft. Genau genommen führt der Titel der Tropfsteinmaschine sogar erst zurück und dann nach vorne. Er gelangt über den Tropfstein in die Vergangenheit, um dann mit der Maschine in der Zukunft zu landen, und führt also, buchstäblich, zurück in die Zukunft.


Gedanken/Experiment/System

Abbildung 1

Die Kopplung der Begriffe im Titel erzeugt eine Spannung, die typisch ist für Bogomir Eckers Arbeitsweise. Oft zeigt sie sich in Materialverschiebungen oder über das Zusammenspiel unterschiedlicher Gegenstände. Für seine Prototypen zum Beispiel – das sind dreidimensionale Skizzen aus den Jahren 1980 bis 2010 – ergänzt Ecker häufig Fundstücke mit kleinen Materialprothesen. „PT186“ mit dem Titel Kein Radio mehr besteht etwa aus einer Antenne, die von einer sechseckigen Aluminiumfläche gehalten wird (Abbildung 1). Die Position, von der die Prototypen Verbindungsmöglichkeiten durchspielen und Verschiedenes zusammenspannen, lässt sich als Versuchsanordnung beschreiben. Eine Versuchsanordnung, die, sagt Ecker, „das plastische Denken in Bewegung“2 hält. Anders als in technischen Produktionsabläufen überprüfen seine Prototypen nichts, weder eine Funktion noch eine Hypothese. Als Versuchsanordnungen haftet ihnen vielmehr etwas Vorübergehendes an. Nicht physikalische Belastbarkeit soll mit ihnen ausgereizt werden, sondern die Wahrnehmung von Raum-, Körper- und Materialzusammensetzungen.

Die Tropfsteinmaschine ist vor allem des Titels wegen eine Maschine, eine uneigentliche, metaphorische, eine Zeitmaschine. Ihre eigentliche Komposition, die Art und Weise, wie sie zusammengestellt ist, erinnert ebenfalls an einen Versuchsaufbau. Als konkretes Setting mit technischen, materiellen und personellen Komponenten, bringt sie einen Handlungszusammenhang in Gang, der dazu dient, das zeitliche Denken in Bewegung zu halten. Praktisch mit allem ausgestattet, was es für den Versuch braucht, einen Tropfstein über fünfhundert Jahre wachsen zu lassen, weist die Tropfsteinmaschine eine Art experimentelle Doppelstruktur auf: Sie ist ein Gedankenexperiment, das von einem konkreten Versuchsaufbau durchgeführt wird.

Eckers doppelbödige experimentelle Praxis hat wenig mit dem zu tun, was weitläufig unter 'experimenteller Kunst' verstanden wird. In 'experimenteller Kunst' erfolgt das Erproben neuer künstlerischer Techniken mit dem Ziel, einen innovativen, einmaligen, also nicht reproduzierbaren Akt hervorzubringen. Sie hat oft gestischen Charakter, wie etwa Jackson Pollocks Maltechniken, und begreift den Versuchsablauf und seinen Übergangscharakter als das eigentliche künstlerische Ereignis.3 Ecker greift für die Tropfsteinmaschine eher auf einen wissenschaftlichen Begriff des Experimentierens zurück, beziehungsweise kombiniert Praktiken aus Wissenschaft und Kunst.

Als Gedankenexperiment, das per Definition eine Mischung aus science und fiction ist, fordert die Tropfsteinmaschine ihre BetrachterInnen auf, eine mögliche Welt zu entwerfen, indem sie geologische Erkenntnisse nutzt. Genau wie in einer natürlichen Tropfsteinhöhle wird dem Besucher, der Besucherin, vor der Tropfsteinmaschine ein extremes zeitliches Vorstellungsvermögen abverlangt – nur, dass er oder sie es nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft projizieren soll. Ecker schöpft diese Rezeptionsgewohnheit von TropfsteinhöhlenbesucherInnen insofern aus, als dass er seinen BetrachterInnen einen leeren Sockel präsentiert. Zu sehen ist, was im doppelten Sinne zum Tragen kommt: Einmal eine Fläche, die einem zukünftigen Tropfstein Halt geben soll und einmal eine Leerstelle, die bestimmten Zuschreibungen gewachsen sein muss. Stalaktiten und Stalagmiten, darüber wird jede/r TropfsteinhöhlenbesucherIn aufgeklärt, lassen Rückschlüsse auf die Vergangenheit zu. Geologen können über ihre Wachstumsstreifen die klimatischen Verhältnisse über Tausende von Jahren zurückverfolgen. Wenn auch der Tropfstein von Ecker uns in Zukunft etwas über Vergangenes mitteilen soll – was setzt das voraus? Welche Zukunft braucht es dafür? Unter welchen Bedingungen kann ein Tropfstein, kann dieser Tropfstein wachsen? Rein rechnerisch wäre der Tropfstein bis zur Außerbetriebnahme der Tropfsteinmaschine im Jahre 2496 fünf Zentimeter groß. Ob die Rechnung aufgeht, ist für die Installation nebensächlich. Der Stein hat hier allenfalls die Rolle, die Zeit anzuzeigen, so wie der bereits durchgelaufene Sand einer Sanduhr. Als Gedankenexperiment misst die Tropfsteinmaschine Zeit nicht exakt ab wie eine Uhr. Sie dient vielmehr dazu, Zeit zu deuten und Zukunft zu befragen.

Abbildung 2

Der konkrete Versuchsaufbau der Tropfsteinmaschine, ihr Instrumentarium, erstreckt sich über das gesamte Gebäude der Galerie der Gegenwart. Der 'Maschinenraum' ist das Herzstück der Installation. Als eigentliche Tropfsteinhöhle ist er in einem unscheinbaren Nebenraum der Ausstellungsfläche im Untergeschoss der Galerie der Gegenwart untergebracht, der in etwa die Größe einer Abstellkammer hat. Der Raum wird diagonal von einer Glaswand geteilt: auf der hinteren Seite befindet sich eine Tropfvorrichtung unter der Decke und auf dem Boden ein Podest mit einer runden Sandsteinplatte, auf dem der Tropfstein wachsen soll. Eine schmale graue Tür führt in diesen Bereich und kurz über dem Boden ist eine Zeitachse aus Blei in die Wand eingelassen: 1996 – 2496 (Abbildung 2). Auf der vorderen Seite kann der Besucher den Maschinenraum betreten und dem Tropfstein beim Wachsen zuschauen. Im Vorderbereich ist auch ein Piktogramm zu sehen, das mit der gleichen Technik wie die Zeitleiste in die Wand gemeißelt und mit Blei ausgegossen wurde. Es stellt vereinfacht dar, wie das Wasser durch die drei Stockwerke des Gebäudes geleitet wird.

Abbildung 3
Abbildung 4

Noch deutlicher wird das in einer Skizze zur Tropfsteinmaschine, die den Weg des Wassers durchs Museum in einer Aufrisszeichnung zeigt. Zunächst wird auf dem Dach Regen aufgefangen und in ein Wasserreservoir im ersten Stock weitergeleitet. Das Reservoir kann bis zu 1500 Liter fassen und ist mit einer Kühlung, einer Gegenspülung und einer Einrichtung zur Abtötung eventuell ins System geratender Pilze und Bakterien ausgestattet (Abbildung 3). Vom ersten Stock fließt das Wasser in die Eingangshalle der Galerie der Gegenwart weiter, wo es in ein Biotop mit immergrünen Pflanzen gelangt und mit Kalk und Kohlendioxid angereichert wird. Das Biotop ist auch mit einem Periskop ausgestattet, durch das man in den Maschinenraum schauen kann (Abbildungen 4). Die ganze Anlage läuft ohne Fremdenergie, bedarf der gelegentlichen Wartung und ist ansonsten als in sich geschlossenes und unabhängiges System angelegt.

Das Instrumentarium der Tropfsteinmaschine lässt sich sehr gut mit Hans-Jörg Rheinbergers ursprünglich für die Molekularbiologie entwickeltem Konzept des 'Experimentalsystems' beschreiben. In Experimentalsystemen gehört der apparative Aufbau zu den „technischen Dingen“.4 Damit sind die materiellen Hilfsmittel und Praktiken des Labors gemeint, wie etwa Mess- und Aufzeichnungsgeräte oder standardisierte Modelle. Die „technischen Dinge“ lassen sich nicht von den „epistemischen Dingen“5 trennen, also nicht von dem Erkenntnisgegenstand, der durch die wissenschaftliche Forschung hervorgebracht wird. Mittel und Gegenstand des Experimentierens hängen für Rheinberger insofern zusammen, als dass sich das eine aus dem anderen ergibt, und umgekehrt. Das Wissen, das aus einem Experiment hervorgeht, ergibt sich aus dessen „Hantierungen“6 und wirkt sich wieder auf sie aus. Oder, anders formuliert, die Ausstattung des Experiments steckt die Bedingungen ab, nach denen Erkenntnis möglich wird und wird gleichzeitig von ihr geformt.

Mit dieser Durchdringung von technischen und epistemischen Dingen, stellt Hans-Jörg Rheinberger einen Begriff von Experiment in Frage, der die experimentelle Praxis als geradlinigen Weg zur Bestätigung und Widerlegung klar definierter Hypothesen beschreibt. Der experimentelle Prozess sei tatsächlich viel chaotischer und unsicherer und sein zwangsläufiger Charakter werde allenfalls im Nachhinein konstruiert. Rheinberger geht davon aus, dass Experimente auch Räume des Zufalls und des Nichtwissens sind, Räume der Suche und nicht nur der Entdeckung. Als „Maschinerie[n] zur Herstellung von Zukunft“7 sind Experimentalsysteme, so Rheinberger, keine „Anordnungen zur Überprüfung und bestenfalls zur Erteilung von Antworten, sondern insbesondere zur Materialisierung von Fragen.“8 Sie geben „noch unbekannte Antworten auf Fragen [...], die der Experimentator ebenfalls noch gar nicht klar zu stellen in der Lage ist.“9

Auch die Tropfsteinmaschine ist eine Maschine zur Herstellung von Zukunft. Die verschiedenen Ebenen der Experimentierzeit der Tropfsteinmaschine sollen anschließend noch genauer aufgeschlüsselt werden. Die „Forscherzeit“10, so der Begriff für biologische Systeme, also die Zeit, die Ecker und seine HelferInnen gebraucht haben, um das Experiment der Tropfsteinmaschine einzurichten, beträgt dreizehn Jahre. Die „Untersuchungszeit“11 ist dagegen auf fünfhundert Jahre angelegt und fällt bei der Tropfsteinmaschine mit der „Phänomenzeit“12 überein, da ihre Laufzeit dem Vorgang entspricht, der beobachtet werden soll.


Dreizehn Jahre Arbeitszeit

Anfang der 1980er-Jahre haben Bogomir Ecker und sein Freund Sigurd Meeske, ein Ingenieur für Maschinenbau, den Wunsch zusammenzuarbeiten. Sie wollen eine reale Maschine bauen, die aber vor allem „gedanklich funktionieren sollte“.13 In einem Interview aus dem Jahr 2000 erinnert sich Ecker, dass die ausschlaggebende Idee plötzlich kam, während eines Gesprächs der beiden Freunde, nach vielen verworfenen Ansätzen. Worüber sie genau sprachen, erinnert er nicht, aber dass es spät in der Nacht war und die Kaffeemaschine blubberte.14

Die Kaffeemaschine wird hier zu einem wichtigen Bestandteil der Entstehungsgeschichte der Tropfsteinmaschine, eine Art Schlüsselobjekt der Urszene. Sie spielt bereits in einer frühen Publikation eine zentrale Rolle, die Ecker und Meeske zum Entwurf der Tropfsteinmaschine veröffentlicht haben und die, dreizehn Jahre vor dem Interview, 1987, vom Berliner Künstlerhaus Bethanien herausgegeben wurde. Hier erklären die beiden Freunde in einem kurzen Text, wie es zu ihrer Zusammenarbeit kam. Es sei die „Allgegenwärtigkeit der Maschinen“ gewesen, schreiben sie, die „jedem von uns ab[nötigt], einen subjektiven Zugang zu ihnen zu finden“.15 Diese Notwendigkeit wird dann am Beispiel der Kaffeemaschine durchexerziert und aus der Innensicht zweier mit X1 und X2 benannten Personen dargelegt.

Es beginnt mit dem Ausfall der Kaffeemaschine von X1 und der Überforderung sie wieder zum Laufen zu bringen – und führt schließlich zu zwei komplett unterschiedlichen Lebenswegen: X1, der keine Ruhe hat, bis er das Gerät nicht vollständig durchschaut hat und in der Lage ist, es – inklusive des in sie eingebauten Mikroprozessors – selbst zu bauen und X2, der sich für einen ästhetisch-symbolischen Zugang entscheidet, mit dem er sich seine technische Umgebung künstlerisch aneignen kann. Für den Leser ist unschwer zu erkennen, dass es sich bei X1 und X2 um Meeske und Ecker handelt und dass sich ihre Lebenswege, trotz der verschiedenen Richtungen, die sie eingeschlagen haben, kreuzen – wieder vor einer Kaffeemaschine, wenn man der Legende Glauben schenken möchte. Dieses Mal ist sie aber nicht kaputt, sondern schnurrt neben den beiden Freunden in einer weit fortgeschrittenen Nacht des Jahres 1983. Sie sind in eine Unterhaltung vertieft und merken erst im Nachhinein, dass es der Heureka-Moment ihrer gemeinsamen Erfindung war. Die Kaffeemaschine kommt in der Erzählung dieses Moments verdächtig lapidar daher, trägt tatsächlich aber entscheidend zur Dynamik der Situation bei. Denn, wie die Tropfsteinmaschine, tropft sie und scheint den Erfindern sowohl Quelle der Inspiration als auch eine willkommene Gelegenheit sie zu profanisieren.

Wie sehr Eckers Erzählung der Ideenfindung durch den Werk-Begriff der Avantgarden geschult ist, lässt sich am Beispiel des Oulipo – kurz für Ouvroir de littérature potentielle, auf deutsch Werkstatt für potentielle Literatur – veranschaulichen. Mit selbst auferlegten Schreibregeln, den sogenannten 'contraintes', dekonstruiert die Pariser Autorengruppe seit sechzig Jahren die Idee schöpferischer Inspiration.16 Die 'contraintes' sind oft von mathematischen Prinzipien geleitete Regeln, mit dem die Oulipiens den Schreibeinstieg motivieren und den Prozess des Schreibens im äußersten und übertragenen Sinne „machine[s] à raconter des histoires“17, das heißt Geschichtenerzählmaschinen, überlassen. Italo Calvino, ein Oulipien der frühen Stunde, spielt in seinem Vortrag Kybernetik und Gespenster von 1967 den Gedanken durch, ob nicht gar eine schreibende Maschine diese Regeln ausführen und damit den Autor ganz abschaffen könne.18 Er argumentiert ähnlich für den Tod des Autors wie Roland Barthes ein Jahr später, setzt allerdings den Fokus auf die Tätigkeit des Schreibenden und nicht wie Barthes auf die (vermeintliche) Rekonstruktion der Intention des Autors seitens des Lesers.19 Der Autor verfolgt seines Erachtens nach nichts, was eine Maschine nicht auch tun könnte, und zwar, „eine Reihe hartnäckiger Versuche, ein Wort hinter das andere zu bringen und dabei gewisse festgelegte Regeln zu befolgen“.20 Denn, „das, was in der romantischen Terminologie Genius, Inspiration oder Intuition hieß, ist nichts weiter als empirisch einen Weg zu finden, der Nase nach, über Abkürzungen gehend, wo die Maschine systematisch und gewissenhaft [...] vorgehen würde.“21

Die Maschine als Metapher für den Autor ist für Calvino ein Weg, um den Text oder das Kunstwerk von der Last der Intention zu befreien und das Werk als einen offenen Prozess zu verstehen, als fortwährende Auseinandersetzung mit einem Material, an der AutorIn und Leser- oder BetrachterIn gleichermaßen teilhaben. In der, wie ich es genannt habe, 'Urszene' der Tropfsteinmaschine treten Ecker und Meeske sehr wohl als Autoren auf und besonders Bogomir Ecker nimmt die Autorschaft auch aktiv an. Aber die Analogie des Tropfens von Kaffeemaschine und Tropfsteinmaschine suggeriert doch, dass hier eine Maschine zwei eifrig brütenden Erfindern die entscheidende Idee eingeflüstert habe. Eckers Erzählung bezieht explizit zwei Akteure mit ein, die keine Künstler sind – ein Ingenieur und eine Kaffeemaschine – und destabilisiert dadurch die Grenze zwischen Kunst und Nicht-Kunst. Sie hütet sich vor Bedeutungszuschreibungen und davor Inspiration als etwas darzustellen, das mit innerem Monolog oder übernatürlicher Eingabe zu tun haben könnte.

Nachdem die beiden Freunde 1983 die Idee für die Tropfsteinmaschine gefunden haben, gerät sie zunächst fast in Vergessenheit. Erst 1986, als Ecker von Künstlern des „Büro Berlin“ zu einem Treffen im Künstlerhaus Bethanien eingeladen wird, bei dem es um die Erweiterung künstlerischer Praktiken geht, erinnert Ecker sich an die Idee der Tropfsteinmaschine.22 Er stellt sie seinen KollegInnen vor und bringt damit den eigentlichen Entstehungsprozess der Installation in Gang. Bis zu ihrer 'Inbetriebnahme' am 16. Dezember 1996 in der Hamburger Kunsthalle dauert es noch zehn Jahren. Zehn Jahre, in denen Ecker mit Fachleuten wie GeologInnen, IngenieurInnen und JuristInnen zusammenarbeitet, um materielle, technische und vertragliche Probleme zu lösen und die Maschine zum Tropfen zu bringen. Wichtige Stationen dieser Arbeits- oder „Forscherzeit“ sind die Veranstaltung Emotope des „Büro Berlin“, auf dem Ecker und Meeske ihre Idee vorstellen, eine Ausstellung im Hamburger Kunstverein, bei der Ecker wichtige UnterstützerInnen für sein Projekt findet, Uwe M. Schneedes Übernahme der Leitung der Hamburger Kunsthalle, sowie der Neubau der Galerie der Gegenwart und die technische Realisierbarkeit der Tropfvorrichtung.

Als Ecker und Meeske ihre Idee im September 1987 in einem Vortrag auf der Veranstaltung Emotope im ICC Berlin erstmals in die Öffentlichkeit tragen, ist bereits anvisiert, dass die Tropfsteinmaschine fünfhundert Jahre lang laufen soll. Im Vorfeld der Veranstaltung hatten sie ein Heft zum Entwurf der Tropfsteinmaschine verfasst, in der sie die technischen, sozialen und rechtlichen Konsequenzen dieser Überlegung durchgehen und auch die Frage des Standorts thematisieren. Der Vorschlag, die Tropfsteinmaschine im Keller des Parlamentsgebäudes in Bonn unterzubringen, scheint ihnen gut, aber zu unsicher, und auch private Gebäude werden abgelehnt.23

Abbildung 5
Abbildung 6

Knapp zwei Jahre später beginnt Ecker aktiv mit der Suche nach einer konkreten Lösung für den Standort der Tropfsteinmaschine. In Anbetracht der erforderlichen Wasserversorgung wäre es das einfachste, sie in ein noch nicht begonnenes Bauvorhaben zu integrieren. Eine erste Anfrage beim Deutschen Historischen Museum in Berlin wird abgelehnt. Doch als Ecker mit einem Objekt zur Tropfsteinmaschine, ein verkalkter Waschmaschinen-Heizstab in einer Vitrine (Abbildung 5) an einer Ausstellung im Hamburger Kunstverein teilnimmt, gewinnt er UnterstützerInnen für sein Vorhaben und der geplante Erweiterungsbau der Hamburger Kunsthalle kristallisiert sich als optimaler Standort für die zukünftige Installation heraus. 1991 wird Uwe M. Schneede Direktor der Hamburger Kunsthalle und sagt Ecker zu, seine Pläne im Neubau des Museums zu realisieren.

Parallel zu den Bauarbeiten für das Museum, die im August 1992 beginnen, fertigt Ecker in seinem Düsseldorfer Atelier ein Eins-zu-Eins-Modell der Raumsituation im Museum an Er testet die Proportionen und die Positionierung der Elemente im Maschinenraum, darunter das Piktogramm, das Periskop und den Sockel für den Stalagmiten. (Abbildung 6)

Abbildung 7

Während Ecker sich mit ästhetischen Problemen beschäftigt, sucht Eckers Berater von der Bundesanstalt für Materialforschung, Jörn Ehreke, nach technischen Lösungen. Anfang 1993 entwickelt Ehreke in seiner Garage den Prototypen für eine Tropfvorrichtung, mit dem er ein konstantes und kontinuierliches Tropfen über einen langen Zeitraum garantieren kann (Abbildung 7).

Der Entstehungsprozess der Tropfsteinmaschine wird von mehreren funktionalen Experimenten begleitet. Sie dienen dazu, den eigentlichen Versuchsaufbau zu justieren und der Installation ihre endgültige Gestalt zu geben. Behelfs-Aufbauten wie das Modell in Eckers Atelier oder die Vorrichtung in Ehrekes Garage können als Experimente im traditionellen oder gewöhnlichen Sinne verstanden werde. Sie werden durchgeführt, um klare Antworten auf definierte Probleme zu finden. Als solche Entscheidungsinstanzen für die weitere Entwicklung der Installation gehören sie zu einem Verständnis von Experiment, das Hans-Jörg Rheinberger nachhaltig in Frage stellt. Erst die eigentliche Installation kann als 'Experimentalsystem' in Rheinbergers Sinne ausgelegt werden.

500 Jahre Laufzeit

Bis zum Entwurf der Tropfsteinmaschine spielt Zeit in den Skulpturen und Installationen von Bogomir Ecker keine entscheidende Rolle. Er beschäftigt sich vorwiegend mit Fragen der Wahrnehmung und Kommunikation oder mit der Verbindung von Natur und Technik. Doch als er und Sigurd Meeske die Idee hatten, eine Maschine zu erfinden, war Zeit von den ersten Entwürfen an ein zentrales Thema. Sie wollten eine Maschine bauen und gleichzeitig die Vorherrschaft von Technik unterlaufen. Eine „kritische Maschine“24 sollte es sein, mit der buchstäblich Zeit gewonnen wird, allerdings nicht durch die Beschleunigung eines Produktionsablaufs, sondern durch dessen gedankliche Vorwegnahme. Die Tropfsteinmaschine ist denn auch, genau genommen, keine Maschine zur Herstellung eines Tropfsteins, sondern eine Zeitmaschine. Sie versetzt die BetrachterInnen geistig in eine Zeit, die sie nicht mehr erleben, aber deren Lebenswelt sie mit ihren Hinterlassenschaften prägen werden.

Der Versuchsaufbau, das Setting der Arbeit ruft die seit der Antike virulente Frage der Nachahmung der Natur auf. Auch bringt sie Kunst und Technik als die beiden Parteien in Stellung, die dabei in einen Wettstreit geraten (können).25 Versteht man die Tropfsteinmaschine aber als Zeitmaschine, wird diesem Konflikt jegliche Sprengkraft entzogen. Kunst und Technik imitieren hier einmütig die Gesetze und Formen der Natur – durch ihr Zusammenspiel entsteht ein Gebilde, das sehr wahrscheinlich aussehen wird wie ein Tropfstein. Das neuzeitliche Verständnis von Kunst als einer originären Schöpfung, das wesentlich auf dem Antagonismus von Kunst und Technik beruht,26 hat für die Form oder Gestalt der Tropfsteinmaschine wenig Bewandtnis. Es kann hier allenfalls auf der Ebene des Konzepts geltend gemacht werden, und zwar in dem Sinn, wie ihn die Konzeptkunst der 1960er und 1970er Jahre geprägt hat. In seinem Artikel Paragraphs on Conceptual Art von 1967 führt Sol Le Witt dazu aus:

“When an artist uses a conceptual form of art, it means that all of the planning and decisions are made beforehand and the execution is a perfunctory affair. The idea becomes a machine that makes the art. [...] What the work of art looks like isn't too important. It has to look like something if it has a physical form. No matter what form it may finally have it must begin with an idea.”27

Der Entstehungsprozess der Tropfsteinmaschine wird von mehreren funktionalen Experimenten begleitet. Sie dienen dazu, den eigentlichen Versuchsaufbau zu justieren und der Installation ihre endgültige Gestalt zu geben. Behelfs-Aufbauten wie das Modell in Eckers Atelier oder die Vorrichtung in Ehrekes Garage können als Experimente im traditionellen oder gewöhnlichen Sinne verstanden werde. Sie werden durchgeführt, um klare Antworten auf definierte Probleme zu finden. Als solche Entscheidungsinstanzen für die weitere Entwicklung der Installation gehören sie zu einem Verständnis von Experiment, das Hans-Jörg Rheinberger nachhaltig in Frage stellt. Erst die eigentliche Installation kann als 'Experimentalsystem' in Rheinbergers Sinne ausgelegt werden.

Abbildung 8

Sol Le Witts Beschreibung der konzeptkünstlerischen Praxis trifft in vielerlei Hinsicht auf die Entstehung der Tropfsteinmaschine zu. Der eigentliche künstlerische Akt ist die Erfindung einer Maschine in Form einer Idee, die dann lange Zeit bearbeitet wird, um sehr viel später das wahrnehmbare Werk wie von selbst zu produzieren. Der Künstler hat dabei die Rolle die Idee oder Maschine möglichst genau zu justieren, alle Parameter genauestens zu bedenken und aufzugleisen. Dem eigentlichen Produktionsprozess wohnt er dann aber nicht mehr bei, er wird von der Maschine ausgeführt.

Bei der Tropfsteinmaschine geht es nicht darum, die Form des Tropfsteins nachzubilden, sondern dessen Eigenzeit und darum, die natürliche Wachstumsgeschwindigkeit des Tropfsteins als gedanklichen Spielraum auszuschöpfen. Um sie ermessen zu können, helfen Ecker und Meeske geologische Erkenntnisse und auch ein Experiment, das sie Anfang 1987 im Inneren eines Kühlschranks durchführen. Ausgestattet mit zwei kleinen Kästen – der obere ein Wasserreservoir, in dem Wasser mit Kalk und Kohlendioxid angereichert wird, und der untere die „Höhle“, in der das Wasser auf eine Steinplatte tropft – wurde der Kühlschrank zu einem autonomen System, um einen Tropfstein wachsen zu lassen (Abbildung 8). Das Experiment dauert sechs Monate, vom 24.01.1987 bis zum 29.07.1987, und am Ende ist ein Tropfstein von etwa einem Millimeter sichtbar. Ecker und Meeske verwerfen das System für weitere Überlegungen, weil es ihnen zu schnell arbeitet. Anders als Geologen, für die ein unter Laborbedingungen beschleunigter Prozess das notwendige Übel zur Erforschung des Wachstums eines Tropfsteins ist, würde die erhöhte Geschwindigkeit das Konzept der Tropfsteinmaschine unterlaufen.

Ecker und Meeske legen beim Entwurf der Tropfsteinmaschine Wert darauf, die Gesetze der Natur zu durchdringen und nachzuahmen. Die Gestalt des Tropfsteins wird hingegen ausgeklammert. Damit greifen sie auf ein Naturverständnis wissenschaftlicher Prägung zurück, das sich in der Neuzeit mit dem Begriff der „Weltmaschine“ herausgebildet hat. Der Maschinenbegriff beruht im 16. und 17. Jahrhundert wesentlich auf den Gesetzen der Mechanik. Deshalb ist auch von einer „Mechanisierung des Weltbildes“28 die Rede, in dem sich der Begriff der Natur und der Begriff der Maschine gegenseitig bedingen. „Wenn die Natur eine Maschine ist“, schreibt McLaughlin,

„dann ist die natürliche Bewegung mechanisch und die mechanische Bewegung natürlich. Die Natur wird durch die erzwungene Bewegung nicht überrumpelt, sondern dargestellt. In der Mechanik wird die Natur gezwungen, ihre Gesetze in eindeutiger Form zu zeigen. Bacons berühmtes Dictum, daß wir die Natur nur beherrschen können, indem wir ihr gehorchen, bedeutet auch umgekehrt, daß dort, wo wir die Natur in der Tat beherrschen, dort gehorchen wir den Gesetzen der Natur.“29

Legt man den neuzeitlichen Maschinenbegriff zugrunde, relativiert sich der Antagonismus von Tropfstein und Maschine im Titel der Tropfsteinmaschine. Natürliche und maschinelle Prozesse unterlaufen sich dann nicht aufgrund ihrer unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Sie werden vergleichbar und ihre Gemeinsamkeiten veranschaulichen die Naturforscher und Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts nahezu unisono am Bild der Uhr. Allerdings, und darin liegt wiederum ein Unterschied zur Tropfsteinmaschine, beziehen sie sich nicht auf die zeitmessende Funktion der Uhr, sondern auf das Uhrwerk.30 Sie vergleichen die Natur nicht mit dem, was die Uhr macht, sondern wie sie es macht. Mit der Metapher der „Weltmaschine“ ist die Mechanik des Uhrwerks gemeint. Auch wenn sie auf ein Gerät zum Messen der Zeit zurückgreift, ist die Weltmaschine also keine Zeit-, sondern eine „Transmissionsmaschine“.31

Jemands- oder Niemandsland?

Abbildung 9

Die größte Herausforderung bei der Realisierung der Tropfsteinmaschine ist die Absicherung der Bedingungen, unter denen der Tropfstein in Eigenzeit wachsen kann. Das betrifft zunächst die Wahl des Standortes der Tropfsteinmaschine. Es muss eine Institution sein, die das langsame Wachstum des Tropfsteins über fünfhundert Jahre sowohl in architektonischer als auch in verwaltungstechnischer Hinsicht zusagen kann. Mit dem Museum entscheidet sich Ecker für einen Ort der Langzeitkonservierung. Obwohl die Geschichte des modernen Museums erst 200 Jahre alt ist und das abgeschlossene Werk seit den 1960er Jahren stark in Frage gestellt wurde, stehen die Chancen nicht schlecht, dass die Tropfsteinmaschine hier überleben kann. Museen stehen nach wie vor für die materielle und semantische Haltbarkeit von Kunstwerken.

Die Tropfsteinmaschine muss aber nicht nur bautechnisch in das Museum integriert werden. Um die Handlungsfähigkeit der Tropfsteinmaschine zu gewährleisten, entwirft Ecker fünf schematische Darstellungen auf Aluminiumplatten, die erklären, dass die Installation auf regelmäßige Pflege angewiesen ist (Abbildung 9). Neben rechtlichen Belangen, wie z.B. der Eintragung der Tropfsteinmaschine ins Grundbuch oder der Gründung des Tropfstein e.V., sollen diese Schilder die Funktionsweise der Anlage auch Wesen verständlich machen, die unsere Sprache womöglich nicht mehr verstehen. Auf diese Weise setzt die Tropfsteinmaschine nicht nur einen kontinuierlichen Schaffensprozess in Gang, sondern versucht auch, soziale Kontinuität zu schaffen. Bis auf weiteres prüft das jeweilige technische Personal der Hamburger Kunsthalle regelmäßig, ob genügend Wasser im Wasserreservoir ist und ob das Wasser weiterhin durch die Wasserleitungen im Gebäude fließt. Das Wissen um die Funktionsweise und den Umgang mit der Tropfsteinmaschine muss aber an nachfolgende Generationen weitergegeben werden. Ob das gelingt, sei dahingestellt – wie bei der Installation selbst ist die Mühe entscheidend, die richtigen Bedingungen dafür zu schaffen. Sie sind, genauso wie die sichtbaren technischen Aspekte der Tropfsteinmaschine darauf ausgerichtet, einen inneren Vorgang beim Betrachter, der Betrachterin, in Gang zu setzen, mit dem er oder sie sich geistig in das Jahr 2496 versetzt – und sich nicht nur vorstellt, wie der Tropfstein dann aussehen könnte, sondern auch über die dazugehörige Lebenswelt nachdenkt.

Abbildung 10
Abbildung 10.1

Ecker selbst hat in den Jahren vor und nach der Inbetriebnahme eine Serie von Zeichnungen mit dem Titel Prognosen erstellt. Sie sind immer gleich aufgebaut: eine Jahreszahlenkolonne am linken Rand des Papiers und ein Diagramm aus Wörtern auf dem restlichen Blatt. Die Diagramme sind meist ironische Kombinationen von Wörtern für technologische, soziale und physikalische Entwicklungen unserer Welt und Gesellschaft, Wörter für Kommunikationsmittel, Insekten, menschliche Fähigkeiten oder materielle Veränderungen. Durch die Verbindung von konkreten und abstrakten Begriffen entwerfen die Prognosen ein Panorama möglicher Veränderungen, das sich stets auf die Tropfsteinmaschine bezieht und eine Art fiktive Zukunftschronologie der Installation entwirft. Immer wieder tauchen beispielsweise die Begriffe „digitaler Alzheimer“ oder „Jahrzehnte des Vergessens“ auf, die die gesellschaftliche Herausforderung, die von der Tropfsteinmaschine ausgeht, ironisch in Frage stellen. (Abb. 10 )

Für die Prognosen und das unbestimmte Ausgangszenario der Installation im Jahre 2496 greift das Bild der Maschine als Black Box, die zwar vom Menschen geschaffen, aber schon längst nicht mehr für ihn nachvollziehbar ist. In dieser Perspektive wird die Maschine den Menschen irgendwann überholen und ihn auslöschen. In ihrer Publikation zum Entwurf der Tropfsteinmaschine greifen Ecker und Meeske diese apokalyptische Vision des Zusammenlebens von Mensch und Maschine durch einen Ausschnitt aus Lewis Mumfords Mythos der Maschine von 1970 auf. Darin wirft der amerikanische Soziologe und Architekt seinen Zeitgenossen vor, die Schwierigkeiten auszublenden, die mit den technischen Entwicklungen einhergehen, genauer gesagt, dass ein „großer Teil des fortgeschrittenen Denkens in Wissenschaft und Technik [...] heute darauf gerichtet [ist], immer mehr menschliche Komponenten auf die Maschine zu übertragen, ohne sich auch nur im geringsten darüber Sorgen zu machen, was vom Leben des Menschen übrigbleiben wird, wenn dieser Prozeß endlos weitergeht.“32 Der Betrachter oder die Betrachterin der Tropfsteinmaschine darf sich aufgefordert fühlen, diesen Prozess in Eigenregie auszumalen. Für Mumford, der hier Samuel Butler zitiert, steht hingegen fest:

„[...] die Veränderung wird so allmählich sein, dass das Gefühl des Menschen für das ihm Gebührende zu keiner Zeit grob verletzt sein wird. Die Knechtschaft wird uns lautlos und unsichtbar befallen; und es wird auch nie zu einem offenen Zielkonflikt zwischen Mensch und Maschine kommen, der zu einer ernsten Auseinandersetzung zwischen ihnen führen würde.“33

Die Art und Weise, wie Ecker die Zuschreibungsroutine des Museums neu entwirft, könnte in eine ähnliche Richtung ausgelegt werden. Statt klassischer avantgardistischer Anti-Strategien, die das Museum als solches ablehnen und nach anderen Kontexten suchen, wie etwa die Land Art, nutzt Ecker die Struktur des Museums und verteilt die Rollen neu. Die Institution hat sich gegenüber Ecker verpflichtet, den Entstehungsprozess seiner Arbeit aufrecht zu erhalten und wird dadurch zu einem 'Angestellten' der Skulptur – anders, oder zugespitzt und wortwörtlich gesagt: zu einem Diener der Maschine.

Das Niemandsland, das die Maschinenmetaphorik aus den Entwurfsjahren der Tropfsteinmaschine heraufbeschwört, wird unterdessen wieder bevölkert – auch Zukunft hat eine Vergangenheit. KulturwissenschaftlerInnen wie Christian Kassung oder Kathrin Passig34 haben in den letzten Jahren immer wieder betont, dass der Topos der Black Box überholt sei und es angemessener wäre, Mensch und Maschine als ebenbürtige Partner und jeden Apparat als einen „massiven Hybrid“35 aus Mensch und Maschine zu betrachten. Auch der Titel der Veranstaltungsreihe zum ersten Vierteljahrhundert Laufzeit der Tropfsteinmaschine hat einen optimistischeren Unterton: Futura – Zukunft als Denkform. Es bleibt also zu hoffen, dass die Maschine in der Galerie der Gegenwart doch nicht außer Kontrolle gerät und bis ins Jahr 2496 (mindestens!) ganz Hamburg unter einem riesigen Tropfstein begräbt.

Wie alle Zeitreisen führt die Tropfsteinmaschine am Ende in die Gegenwart. Egal, ob sich Zeitreisende in die Vergangenheit oder in die Zukunft katapultieren, am Ende kommen sie immer wieder in (ihrer) Gegenwart an. Denn, ob sie etwas aus der Vergangenheit oder aus der Zukunft mitbringen, dort ermöglichen oder verhindern, es wirkt sich immer auf den Ausgangspunkt der Reise aus. Durch die Zeitreise verschiebt sich die Gegenwart und steht in einem anderen Licht oder gar ausgetauscht da. Als poetisches Verfahren zur kritischen Betrachtung der Gegenwart stiftet die Zeitreise nicht nur zur Phantasie, sondern auch zu einer Veränderung des Hier und Jetzt an. Auch die Zeitreise der Eckerschen Tropfsteinmaschine führt am Ende in die Gegenwart dessen, was man gedanklich fassen kann, und damit: ins Bewusstsein des Betrachters und der Betrachterin.




1 Vgl. Konrad Paul Liessmann (2004): „»Zum Raum wird hier die Zeit«. Kleine Geschichte der Zeitreisen“, in: Macho, Thomas und Annette Wunschel (Hg.): Science & Fiction. Über Gedankenexperimente in Wissenschaft, Philosophie und Literatur, Frankfurt a.M., S. 210ff.
2 Bogomir Ecker, zitiert bei Schneede, Uwe (2006): „Between Function and Fiction. Three Groups in the Work of Bogomir Ecker“, in: Ecker, Bogomir: Man ist nie allein, Berlin, S. 91.
3 Vgl. auch Hannes Rickli (2015): „Experimentieren“, in: Badura, Jens et.al. (Hg.): Künstlerische Forschung. Ein Handbuch, Berlin, S. 135-138.
4 Hans-Jörg Rheinberger (2006): Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas, Frankfurt a.M., S. 27.
5 Ebd.
6 Christoph Hoffmann (2011): „Eigenleben im Experiment. Zur Erforschung ‹natürlicher Systeme›“, in: Rickli, Hannes (Hg.): Vidoegramme. Die Bildwelten biologischer Experimentalsysteme als Kunst- und Theorieobjekt, Zürich, S. 48.
7 François Jacob, zitiert bei Rheinberger 2006, S. 25.
8 Ebd.
9 Ebd.
10 Vgl. James Griesemer und Grant Yamashita, zitiert bei Hoffmann 2011, S. 49.
11 Ebd.
12 Ebd.
13 Uwe M. Schneede (1997): Skulptur Räume. Sie jungen Deutschen der achtziger Jahre, Regensburg, S. 67.
14 Vgl. Bogomir Ecker (2000): „Der Atemzug von 500 Jahren oder Die Tropfsteinmaschine. Ein Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks“, in: Kusntforum International 150, S. 210.
15 Bogomir Ecker und Sigurd Meeske (1987): Die Tropfsteinmaschine. Entwurf, Berlin, S. 24.
16 Die Mitglieder des Oulipo sind überwiegend Schriftsteller, aber auch der 75jährige Marcel Duchamp trat der Werkstatt für potentielle Literatur noch bei. (Vgl. Le Tellier, Hervé (2006): Esthétique de L’Oulipo, Bordeaux).
17 So nennt Georges Perec das komplexe Gefüge aus Regeln, das er zum Abfassen seines Romans La Vie Mode d’emploi aufgestellt hat (vgl. Hans Hartje et.al. (1993) (Hg.): Cahier des charges de La Vie mode d’emploi. Georges Perec, Paris, S. 7).
18 Italo Calvino (1984): „Kybernetik und Gespenter. Vortrag 1967”, in: Ders.: Kybernetik und Gespenster. Überlegungen zu Literatur und Gesellschaft, München, S. 14.
19 Vgl. Roland Barthes (1984): „La mort de l’auteur“, in: Ders.: Le bruissement de la langue, Paris, S. 63-71.
20 Calvino 1984, S. 16.
21 Ebd., S. 17.
22 Vgl. Hamburger Kunsthalle/Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg (1999) (Hg.): Bogomir Ecker. Die Tropfsteinmaschine. 1996-2496, Ostfildern-Ruit, S. 31.
23 Vgl. Bogomir Ecker und Sigurd Meeske (1987): Die Tropfsteinmaschine, Entwurf, Berlin, S. 41f.
24 Schneede 1997, S. 67.
25 Vgl. Hans Blumenberg (2020): „›Nachahmung der Natur‹. Zur Vorgeschichte der Idee des schöpferischen Menschen“, in: Schmitz, Alexander und Bernd Stiegler (Hg.): Hans Blumenberg. Schriften zur Technik, Frankfurt a.M., S. 86ff.
26 ebd.
27 Sol LeWitt (1967): „Paragraphs on Conceptual Art“, in: Artforum 1967: 5 (10), S. 80.
28 Peter McLaughlin (1994): „Die Welt als Maschine. Zur Genese des neuzeitlichen Naturbegriffs“, in: Grote, Andreas (Hg.): Macrocosmos in Microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450 bis 1800, Berlin, S. 444.
29 Ebd.
30 Vgl. ebd., S. 441ff.
31 Ebd., S. 443.
32 Ecker/Meeske 1987, S. 20.
33 Ecker/Meeske 1987, S. 21.
34 Vgl. Kathrin Passig (2017): „Fünfzig Jahre Black Box“, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für Europäisches Denken 823/71, S. 16-30.
35 Christian Kassung (2012): „Ein Apparat ist kein Gestell“, in: von Herrmann, Christian und Wladimir Velminski (Hg.): Maschinentheorien/Theoriemaschinen, Frankfurt a.M., S. 267.