Glockengießerwall 5, 20095 Hamburg
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Öffnungszeiten
Dienstags-Sonntag 10-18 Uhr,
Donnerstag 10-21 Uhr
Ist es möglich eine einfache Apparatur zu denken und dann zu realisieren, die für eine Laufzeit von 500 Jahren angelegt ist? Das Wachstum von Tropfsteinen beträgt je nach Beschaffenheit und Konstellation in der Natur im Durchschnitt 10 mm in 100 Jahren. Es dauert Generationen bis sich ein Stalagtit und ein Stalagmit durch langsame Kalkablagerung, Schicht für Schicht, gebildet haben.
Nach einem Entwicklungszeitraum von über 10 Jahren ist am 19.Dezember 1996 die Tropfsteinmschine in der Hamburger Kunsthalle in Betrieb genommen worden. Die Tropfsteinmaschine erstreckt sich über alle Etagen der Galerie der Gegenwart. Die einfache Apparatur ist innerhalb der Architektur vollkommen selbständig.
Regenwasser wird auf den Dachflächen gesammelt und über eine Regenrinne in einem Schacht im Innern des Gebäudes zunächst in ein Wasserreservoir geleitet. Dieser Behälter, der 1.500 Liter umfasst, ist eine Reserve für mögliche Trockenzeiten, die sich in der Zukunft ergeben könnten. Es ist eine Sicherheit für trockene Perioden. Dieses Wasserreservoir in der ersten Etage ist nicht öffentlich zugängig. Von dort aus wird das Regenwasser zu einem Biotop geleitet, das sich mit wuchernden Pflanzen im Eingang der Galerie der Gegenwart befindet. Das Wasser sickert durch die Erdschichten in weiterführende Leitungen und tropft, angereichert mit Kalk und Kohlendioxid, durch ein speziell entwickeltes Kapillarsystem in den „Maschinenraum“. Das im Biotop diagonal installierte Periskop ermöglicht bereits von oben einen ersten Blick in den darunter liegenden Maschinenraum. Hier befindet sich die Tropfstelle.
Beim langsamen Austritt verdunstet das Wasser und da in diesem Moment das Gleichgewicht zwischen Wasser, Kohlendioxid und Kalk gestört wird, scheidet Kalk aus und nimmt Tropfen für Tropfen die unbestimmte Form eines Stalagtiten und des dazugehörigem Stalagmiten an. Langsam und kontinuierlich, ohne Unterbrechungen läuft das Wasser durch die Rohre und Kapillare und bildet beim Austritt die stetigen Tropfen.
Der Maschinenraum als Ort der Zeitablagerung wurde bei der Planung des Gebäudes bewußt an der Nahtstelle zwischen dem eigentlichen Ausstellungsbereich und dem Museumsdepot gewählt. Der Maschinenraum ist als Raum im Raum mit eigenem Fundament konstruiert: jede Erschütterung wird abgefedert.
Durch die Materialauswahl ist es auch ein akustischer Resonanzraum, der bei Stille den fallenden Tropfen nicht nur sichtbar, sondern auch hörbar macht. Es ist auch der einzige Raum in der Galerie der Gegenwart, der nicht beheizt wird. Der Maschinenraum ist getrennt durch eine diagonale Glaswand zwischen Schutzraum und dem öffentlich betretbaren Raum. Mit den in den Steinplatten der Wände in Blei eingelegten Zahlen, der Zeitachse 1996___2496, wird auf dem anvisierten Zeitraum und der kontinuierlichen Laufzeit von 500 Jahren hingewiesen. Ebenfalls zeigt ein bleiernes Piktogramm den vertikalen Verlauf der Anlage im Gebäude und weist auf die entscheidenden Stellen hin: Regenwasserzufuhr, Wasserreservoir, Biotop, Tropfstelle.
Die Tropfsteinmaschine funktioniert als selbständige Anlage ohne jegliche Fremdenergie. Durch die Implantierung der Apparatur in den Kern der Architektur ist ein in sich geschlossener Betrieb, eine Apparatur der Unabhängigkeit entstanden, die zugleich so eingerichtet ist, daß sie ihre Unabhängigkeit und ihre Museumsgängigkeit selbst aufrecht erhalten kann.
Nach der nun mittlerweile 25jährigen Laufzeit (Stand 2021) ist der Stalagtit an der Tropfstelle schon um mehrere Millimeter gewachsen. Auf der darunter befindlichen runden Steinplatte haben sich die Kalkablagerungen zu einem kleinen Krater, zu einer Miniaturlandschaft gebildet. Es ist zu erwarten, dass sich dieser Krater in den nächsten Jahrzehnten schließt und sich auf diesem geschlossenen Krater sehr langsam ein Stalagmit aufbauen wird.
„Die Tropfsteinmaschine ist eine Maschine die möglicherweise Gedanken
provoziert.
10 Millimeter pro Jahrhundert stehen für diese Gedanken.“
Bogomir Ecker, Entwurfsbeschreibung zur Tropfsteinmaschine, 1987